Schlüsselqualifikationen - Parlieren geht über Studieren
von Florian Vollmers
05. Februar 2009 Rahel Kinne studiert Geschichte und Germanistik im sechsten Semester - und hat während ihres Studiums außerdem die PR-Strategie für ein Jugendkulturzentrum entwickelt, eine einstündige Radiosendung geplant und die Online-Präsenz amerikanischer Konsumgüterhersteller analysiert. Am "Zentrum für Schlüsselqualifikationen" der Universität Mannheim (ZfS) hat die 21 Jahre alte Studentin diese Praxiserfahrungen gesammelt als Pflichtteil ihres ansonsten eher geisteswissenschaftlich-theoretisch ausgelegten Studiums.
"Es ist befreiend, sich auch einmal mit Themen fernab des normalen Unialltags zu beschäftigen", sagt sie. "Außerdem kann man dabei ausprobieren, was man später vielleicht einmal beruflich machen wird." Ihr Bachelor-Studium schreibt vor, dass von etwas mehr als 180 Credit Points insgesamt 12 beim Erwerb sogenannter berufsrelevanter Schlüsselqualifikationen gesammelt werden. Fächerübergreifend stehen den Mannheimer Hochschülern im ZfS entsprechende Angebote zur Verfügung, von Fremdsprachen über Medienpraxis bis zu Präsentations- und Kommunikationstechniken. "Für uns ist das alles andere als eine Pflichtübung", berichtet Rahel Kinne. "Alle, die ich kenne, sind froh, dass es dieses Angebot gibt."
Pflicht: Praxisrelevante Kompetenzkurse
Dass Geisteswissenschaftler im Studium zum Besuch praxisrelevanter Kompetenzkurse verpflichtet werden, wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Doch mittlerweile haben die "Soft Skills" an den deutschen Hochschulen Einzug gehalten. Schuld daran ist der Bologna-Prozess: Die Bildungsminister aus 29 europäischen Ländern unterzeichneten am 19. Juni 1999 in Bologna einen Vertrag, um einen homogenen und durchlässigen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Eine der vereinbarten Maßnahmen: Auch überfachliche, berufsfeldorientierte Kompetenzen, die ein Fachstudium sinnvoll ergänzen - Schlüsselqualifikationen also -, sollen im Studium vermittelt werden. Selbständigkeit, Kreativität, Verantwortungs- und Leistungsbereitschaft werden ausdrücklich als Beispiele genannt.
Mehr als 80 Prozent der deutschen Hochschulen haben inzwischen die Vermittlung von Schlüsselkompetenzen in ihre Lehrpläne aufgenommen oder zumindest ein Konzept dafür vorliegen. Die Hochschulen integrieren die "Soft Skills" entweder direkt in die Lehrpläne ihrer Studiengänge oder rufen "Career Center" ins Leben, die entsprechende Workshops und Seminare fachübergreifend anbieten. Bis Ende 2010 - dem angepeilten Ziel für die europaweite Umstellung auf die Bachelor- und Master-Struktur - wird die Quote bei rund 90 Prozent aller Studiengänge liegen, schätzen Experten.
Als eigenständige Qualifikationsziele hervorgehoben
"Erst mit den notwendigen Schlüsselqualifikationen können die Studierenden mit ihrem fachlichen Wissen auch kompetent umgehen, es erfolgreich einsetzen", begründet Margret Wintermantel, die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, die Aufnahme der Kompetenzvermittlung in das Aufgaben-Portfolio der Hochschulen. "Sie müssen lernen, mit unterschiedlichen Kooperationspartnern konstruktiv zusammenzuarbeiten und Verantwortung zu übernehmen." Sicher hätten Studenten schon immer erworbenes Wissen mündlich und schriftlich präsentiert, in Projekten gearbeitet und selbständig Fallbeispiele bearbeitet. "Doch diese Fähigkeiten werden nun in den neuen Studiengängen deutlich als eigenständige Qualifikationsziele hervorgehoben und entsprechend systematischer vermittelt."
Die Ausprägung an den Hochschulen fällt höchst unterschiedlich aus. "Das beginnt mit kleinen Lösungen, bei denen die Soft-Skill-Vermittlung über einen Fremdsprachenkurs mit 10 Credit Points abgegolten wird, und endet bei Studiengängen, in denen bis zu 30 Prozent der Studienleistungen aus außerfachlichen beruflichen Kompetenzen bestehen", berichtet Ludwig Voegelin vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE Consult). Er berät Universitäten bei der Umstellung ihrer Studiengänge auf die Bachelor- und Master-Struktur und weiß daher, welche Schwierigkeiten einzelne Fachbereiche mit der Integration von Schlüsselqualifikationen in ihre Lehrpläne haben. "Jahrhundertealte Gewohnheiten müssen neu gedacht werden, das fällt einigen Lehrenden doch sehr schwer."
Nicht überall sind „Soft Skills“ gern gesehen
Und längst nicht überall sind die "Soft Skills" gern gesehen. Das Deutsche Studentenwerk (DSW) etwa hat wiederholt seine Skepsis zum Ausdruck gebracht. "Das Erlernen von Schlüsselqualifikationen kann nicht eben mal so in eine Vorlesung eingebaut werden", sagt Achim Meyer auf der Heyde, der Generalsekretär des DSW. "Sie müssen im Team erlebt werden und auf der Eigeninitiative der Studierenden gründen." Gerade die dem Arbeitsmarkt scheinbar ferne Kulturarbeit sei dafür bestens geeignet.
Eine Vorbild ist in dieser Hinsicht das Studentenwerk Schleswig-Holstein. In zwölf Theatergruppen können Studenten dort Kurse zu Darstellung, Bühnenpräsenz und Stimmgestaltung besuchen. Eine von ihnen ist Kathrin Neuschl. Die 27 Jahre alte Ökotrophologie-Studentin durchläuft derzeit das "Schauspiel-Basistraining". "Am Anfang war es pure Neugierde, neue Horizonte für mich zu erschließen", berichtet sie. "Dann hat es so viel Spaß gemacht, dass ich jetzt regelmäßig Theater mache." Der Wunsch, als professionelle Schauspielerin zu arbeiten, habe dabei nie eine Rolle gespielt. Wie man sich auf einer Bühne bewegt und die richtige Körperspannung hält, empfindet Neuschl vielmehr durchaus als gewinnbringend für ihren späteren Beruf. "Seitdem ich die Schauspielkurse besuche, fallen mir Vorträge an der Uni leichter, und ich trete selbstbewusster auf." Sie sei offener geworden und gehe anders auf Menschen zu. "Das sind praxisrelevante Fähigkeiten, die man sonst nicht im Studium vermittelt bekommt, die aber enorm wichtig für das spätere Berufsleben sind."
Dass die wenigsten Theaterkurs-Teilnehmer später Schauspieler werden wollen, weiß auch Tina Wagner, die künstlerische Leiterin der Schauspielschule in Kiel und Dozentin in der Kulturabteilung des Studentenwerks. "Es gibt viele angehende Lehrer, Theologen und Juristen, die zu uns kommen, weil sie wissen, dass sie im späteren Berufsleben vor anderen Menschen auftreten und überzeugen müssen." Auch Teamfähigkeit spiele in ihren Kursen eine große Rolle. "Wer ein halbes Jahr in einer Gruppe mit maximal zwölf Teilnehmern bleibt, um am Ende eine eigene Bühnenproduktion auf die Beine zu stellen, lernt zwangsläufig, teamfähig zu sein", sagt Wagner.
Mehr können als wissen?
Noch sind die Kulturkurse des Kieler Studentenwerks freiwillig. Doch es gibt Überlegungen, sie in das Credit-Point-System der Bachelor- und Master-Studiengänge einzubeziehen. Diethard Pieske, der Leiter der Kulturabteilung, lehnt das bislang ab. "Ich sehe diese zunehmende Modularisierung sehr skeptisch und möchte unsere Abteilung als Oase und Heimstatt erhalten, an der man sich mit Muße und ohne Prüfungsdruck ausprobieren kann", sagt er. "Im Übrigen spielen bei der Vermittlung der sogenannten Schlüsselqualifikationen ja auch die Eigenständigkeit und Selbstmotivation unserer Kursteilnehmer eine große Rolle, die bei der Einbeziehung in das Modulsystem verlorengingen."
Schärfster Kritiker der Pflicht zur Vermittlung von "Soft Skills" an den Hochschulen ist allerdings nicht das DSW, sondern der Deutsche Hochschulverband (DHV). Seit einigen Jahren sammelt sich im Verband der Unmut vieler Hochschullehrer über den Bologna-Prozess. "Es besteht die Gefahr, dass die Absolventen am Ende mehr können, als sie wissen", spitzt DHV-Sprecher Matthias Jaroch die Kritik zu. Gerade die Vernachlässigung allgemeiner Bildung als Kernaufgabe wissenschaftlicher Lehre entziehe den Absolventen die Fähigkeit, auf einem flexiblen Arbeitsmarkt in unterschiedlichen Positionen erfolgreich zu sein.
Text: F.A.Z.
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