Freitag, 6. Juli 2012

Max-Weber-Tagung



Marta Bucholz und Werner Gephart
Abstract des Vortrags von Marta Bucholc.

Obwohl der Titel des Vortrags die Reaktion polnischer Intellektueller auf Max Webers Polenschriften ankündigt, wäre es zutreffender, von einem Mangel an Reaktion zu sprechen. Am Beispiel der Polenschriften sollen diese Mängel und Lücken der polnischen Rezeption von Webers Schriften kurz besprochen werden, um danach den möglichen Ursachen des vergleichsweise geringen Interesses der Polen an diesem Teil seines Nachlasses nachzugehen.
Weber scheint die Polen in seinen Schriften ausschließlich als tragische Helden darzustellen. Da die Polen zur Zeit Webers keinen eigenen Staat hatten und als Untertanen von Preußen, Österreich und Russland starke Unabhängigkeitsansprüche stellten, versuchten sie noch vor Ende des ersten Weltkrieges, die Weber’schen Äußerungen zu diesem Thema im Rahmen eines politischen Kampf zu instrumentalisieren. In diesem Zusammenhang wurde Weber zu einem der markentesten intellektuellen Vertreter preußischer Staatspolitik ernannt. In dieser Epoche reagierte man also nicht auf Webers wissenschaftliche Thesen als solche, sondern ausschließlich in Hinsicht auf den preußischen Antipolonismus im Allgemeinen.
Erst nach dem Jahre 1918, als sich mit der Wiederentstehung Polens eine neue akademische Kultur etablierte, bot sich die Gelegenheit, Webers Polenbild aus einer differenzierteren Perspektive in Frage zu stellen. Diese Gelegenheit wurde jedoch verpasst und Webers Polenschriften wurden allmählich vergessen.
Aus diesen Gründen wird Weber in Polen heutzutage aus zwei Perspektiven betrachtet. Einerseits ist er ein berühmter und angesehener Klassiker der Soziologie, dessen Werk sub specie aeternitatis geschätzt wird. Andererseits sieht man ihn als einen veralteten und uninteressanten politischen Schriftsteller. Die Quellen dieses Zwiespaltes sind im gleichen Maße eng verbunden mit der allgemeinen Rezeption der deutschen Soziologie in Polen und dem Klassikerstatus Webers. Allerdings gehen dadurch die Chance auf eine neutrale und distanzierte Analyse der kulturellen Aspekte von Webers Antipolonismus und dessen Bedeutung im Rahmen seiner Soziologie gänzlich verloren.
Max Weber orientalisch gesehen
Der Terminus »polnische Schriften« bezieht sich eigentlich auf jene Werke Webers, in denen die deutsch-polnischen Verhältnisse direkt thematisiert wurden, und zwar auf »Deutschlands äußere und Preußens innere Politik« (darunter insbesondere das Kapitel »Polenpolitik«). Da es aber damals keinen eigentlichen polnischen Staat gab, sollte man die Wurzeln dessen, was er zur sogenannten »polnischen Frage« geschrieben (und auch gesagt) hat, eher in den kulturellen Spannungen der preußischen Monarchie suchen als in der Weltpolitik selbst.
Wenn wir die Frage auf dem Gebiet der Kultur erneut stellen, sollten wir die Kategorie »polnische Schriften« auf eine Menge weiterer Schriften ausdehnen. Neben der Politik finden wir andere Themen, in deren Rahmen Weber die Polen erwähnt: Arbeitsverhältnisse, Landwirtschaft, Religionssoziologie und seine geschichtlichen Betrachtungen. In all diesen Schriften präsentiert Weber eine negative Meinung von den Polen. Sie verkörpern in seinen Augen einen Lebensstil und eine Weltanschauung, die von den protestantischen modernen Werten so weit wie möglich entfernt sind.
Dr. Marta Bucholc arbeitet am Institut für Soziologie an der Warschauer Universität, wo sie 2006 promovierte. Sie befasst sich u. a. mit der Rezeption der Klassiker der Soziologie (vor allem Max Weber und Norbert Elias) durch die gegenwärtigen Sozialtheorien.

Quelle und Zusammenfassung weitere Beitrege der Tagung
 

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