Donnerstag, 16. Juli 2009

Schnell und originell - Schlagfertigkeit


"One never notices what has been done; one can only see what remains to be done."
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Maria Skłodowska-Curie

Photograph of participants of the first Solvay Conference, from 1911

Seated (L-R): Walther Nernst, Marcel Brillouin, Ernest Solvay, Hendrik Lorentz, Emil Warburg, Jean Baptiste Perrin, Wilhelm Wien, Marie Curie, and Henri Poincaré.

Standing (L-R): Robert Goldschmidt, Max Planck, Heinrich Rubens, Arnold Sommerfeld, Frederick Lindemann, Maurice de Broglie, Martin Knudsen, Friedrich Hasenöhrl, Georges Hostelet, Edouard Herzen, James Hopwood Jeans, Ernest Rutherford, Heike Kamerlingh Onnes, Albert Einstein, and Paul Langevin.


Schnell und originell

Schlagfertig wären wir alle gern. Stets aus dem Stegreif eine intelligente Antwort parat haben, das gelingt nur wenigen. An Tipps herrscht kein Mangel. Lässt sich Schlagfertigkeit wirklich lernen? Die Antwort lautet: Jein.

Von Ursula Kals

Der Redner steht am Pult. Er verhaspelt sich, wird nervös, prompt stößt er mit dem Ellbogen das Wasserglas um. Von dem Geklirre werden die Zuhörer, die bis dahin kaum zugehört haben, mit einem Schlag wach. Den peinlichen Zwischenfall fängt der Referent geschickt auf: "Sehen Sie, ich hatte Ihnen einen flüssigen Vortrag versprochen." Viele schmunzeln. Einige verdrehen genervt die Augen. Nämlich diejenigen, so zeigen die Gespräche in der Pause, die sich mit Rhetorik beschäftigt haben. Denn der Spruch zum "flüssigen Vortrag" ist nicht flott improvisiert, sondern stammt aus der einschlägigen Literatur, die mit Listen voller Tipps aufwartet und vollmundig verspricht: "Passiert solch ein Patzer, dann reißen Sie diesen Scherz und haben die Lacher auf Ihrer Seite!" Hört man ihn aber zum wiederholten Mal, erschöpft sich seine vermeintliche Originalität.

"Schlagfertigkeit ist nicht ganz so einfach lernbar, wie mancher Trainer das verspricht im Sinne von ,Lies mein Buch', ,Höre meine CD' und ,Besuche mein Seminar'." Christian Warneke sieht Schnellkurse in Sachen Schlagfertigkeit skeptisch. Kann man lernen, auf unvorhergesehene Situationen spontan sprachlich zu reagieren? "Das ist schwer mit Ja oder Nein zu beantworten. Grundsätzlich würde ich sagen: ja." Vermeintlich passende Phrasen wie Vokabeln auswendig zu lernen, davon allerdings hält der Hamburger Diplompsychologe wenig.

Dass das Streben nach rhetorischer Brillanz so populär ist und teure Kurse mit Titeln wie "Power Talking. Nie wieder sprachlos sein" gut gebucht sind, hat seinen Grund unter anderem im wachsenden Druck der Arbeitswelt. Es geht um Unverwundbarkeit, um die Abwehr von Mobbing. Schlagfertigkeit ist in diesem Sinn eher ein Synonym für Durchsetzungsfähigkeit und dafür, in beruflichen Situationen eigene Interessen zu wahren und souverän mit schwierigen Zeitgenossen umzugehen. Das lenkt zur großen Grundsatzfrage der Psychologen: Was wird vererbt, was wird gelernt? Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. "Schlagfertigkeit ist immer ein Balanceakt zwischen Originalität, Selbstironie und Nervensägerei - sehr viele stürzen ab", schreibt der Autor Matthias Nöllke in seinem Buch "Schlagfertigkeit". Klar ist: Jeder kennt Menschen, die einfach schlagfertig sind - berühmte Persönlichkeiten wie Mark Twain zum Beispiel, dessen Bonmot "Schlagfertigkeit ist etwas, worauf man erst 24 Stunden später kommt" in Anekdoten- und Zitatensammlungen nachzulesen ist. "Es gibt Menschen, die eine lockere Schnauze haben und gut kontern, egal, wie man die anschießt", bestätigt Christian Warneke den Eindruck. Das sind meist extrovertierte, flexible und selbstbewusste Typen, die sich mit verbalen Schnellschüssen leichter tun als diejenigen, die eher formal und regelgeleitet sind und in peinlichen Situationen in eine Art geistige Schockstarre geraten.

Gefördert wird die rhetorische Lässigkeit durch eine anregende Umwelt, debattierfreudige Eltern, diskussionsfreudige Freunde. "Diese Voraussetzungen begünstigen Schlagfertigkeit", sagt Warneke. Bleiben Gedankenblitze hingegen aus, dann rät er zu hinterfragen, was genau hinter dem Wunsch steht, schlagfertig zu sein: Geht es um mehr Respekt für die eigene Person? Und darum, sich nicht unterlegen zu fühlen? Will ich souveräner rüberkommen? Möchte ich mehr Grenzen aufzeigen? Ist das Motiv geklärt, dann sei es hilfreich, sich eine kritische Situation vorzustellen und zu überlegen: Wie wäre im Optimalfall meine äußere Wirkung? Wie wäre meine innere Gefühlslage? Warneke gibt zu bedenken: "Es kann ja durchaus sein, dass ich beim Phrasenabrufen eine erwische, die funktioniert. Möglicherweise fühle ich mich trotzdem innerlich unwohl und habe Zweifel, dem anderen zu hart in die Parade gefahren zu sein."

Umgangssprachlich ausgedrückt: Aus einer dünnhäutigen Trockenmöhre, die das Leben bitterernst sieht, wird nach einem Schlagfertigkeitstraining kein humorvoller Mensch, der unverschämte Angriffe des Vorgesetzten zur Freude frustrierter Kollegen mit nonchalanten Scherzen erwidert. Selbst wenn der dezente Mitarbeiter die Sprache als Waffe einsetzt und äußerlich Oberwasser behält, wird er sich damit nicht wohl fühlen. Das wiederum merken die anderen und sind unangenehm berührt. Hier kommt die vielzitierte mangelnde Authentizität ins Spiel.

Stattdessen macht es Sinn, das Kopfkino anzuwerfen und konkret zu fragen: Was war es genau, was mich in einer Situation sprachlos gemacht hat? Warneke formuliert das so: "Was war der Moment, wo ich innerlich erstarrt bin und kein Wort mehr herausbekommen habe?" War das die bodenlose Frechheit, die mich wütend gemacht hat? War es die erlebte Abwertung, die bei mir Angst, Trauer, Schamgefühle aktiviert hat? War es Neid? "Ich vermute, da gibt es ein individuelles Muster, wann jemand sprachlos wird. Und damit kann ich mich auseinandersetzen." Der so gewonnene Abstand hilft, das Thema lockerer zu sehen. Anstatt dem Gefühl Raum zu geben, in kommunikativen Situationen oft zu versagen, sei es klüger, sich auf seine Stärken zu besinnen. "Das wirkt sich sofort auf die Situation aus", ermutigt Warneke.

Selbstsicherheit und Gelassenheit sieht auch Elke Overdick an erster Stelle, wenn es um Schlagfertigkeit geht. "Es ist immer eine Frage der Interpretation, ob ich etwas als Provokation auffasse. Und sprachlos bin ich ja meist dann, wenn ich etwas als Angriff interpretiere. Dazu neigen Menschen mit weniger Selbstwertgefühl eher", sagt die Diplompsychologin aus Hamburg. "Selbst ein Satz wie ,Sie haben Ihr Diplom wohl auf der Kirmes gewonnen!' ist einfach nur ein Satz. Ich kann ihn als Provokation auffassen, dann wird mein emotionales Erregungsniveau in die Höhe schnellen und mich blockieren."

Selbstbewusste Menschen lassen ihren Wert durch so eine Bosheit hingegen nicht in Frage stellen. Natürlich können sie darüber nachdenken, ob sie ihre Handlungen verbessern können, wenn sie eine derartige Rückmeldung bekommen. "Aber mein Wert als Mensch hängt nicht davon ab, wie jemand das bewertet, was ich gesagt oder gemacht habe", sagt Elke Overdick. Sie verweist auf das berühmte Kommunikationsmodell "Vier Seiten einer Nachricht" des Psychologen Friedemann Schulz von Thun, und zwar auf die Seite der sogenannten Selbstkundgabe: "Ratsamer ist es, die Flegelei als Ausdruck der Persönlichkeit meines Gegenübers aufzufassen: Der ist aggressiv, hilflos oder gewollt lustig."

Elke Overdick lehrt diese Gelassenheit in Trainings. "Gelassenheit heißt: Ich gestehe dem anderen zu, dass er sagt, was er sagen will - ich muss ja nicht seiner Meinung sein. Und wenn jemand sich nach meinen Maßstäben in Ton und Wortwahl vergreift, dann ist das eher peinlich für ihn." Gelassenheit lasse sich einerseits durch Entspanungsverfahren, aber insbesondere durch Veränderungen der eigenen Denkmuster, Regeln und Anforderungen an sich und andere erhöhen. Wenn jemand unsicher und extrem aufgeregt ist, dann nutzen ihm allerdings die besten Rhetoriktipps nicht. "Den meisten Menschen ist ihr Humor in der Anspannung nicht mehr zugänglich", warnt sie. Ist das Selbstbewusstsein aber stabil, gibt es auf der Verhaltensebene Tipps, die denjenigen helfen, denen die elegante Entgegnung immer erst eine halbe Stunde zu spät einfällt. Weiter helfen weniger schablonierte Antworten als grundlegende Methoden, die zum ABC der Rhetorik gehören - zum Beispiel das Überspielen einer Verbalattacke mit Humor oder der Konter mit einer Gegenfrage (siehe Kasten). "Wer fragt, der führt und lenkt die Gedanken des anderen. Ein Vorteil vieler Methoden besteht darin, Zeit zu gewinnen, in der mir eine passende Antwort einfällt", sagt Elke Overdick. Sie empfiehlt noch eine Möglichkeit, auf angenehme Weise Nachhilfe zu nehmen. "Auch bei gut gemachten Sitcoms oder Standup-Comedys kann man sich die eine oder andere Idee abschauen."


Gegenfragen, Grenzen, Schweigen

Einige rhetorische Kniffe fördern die Schlagfertigkeit. Vorgestanzte Antworten helfen in den meisten Situationen zwar wenig weiter, wohl aber grundsätzliche Methoden, freche Vorwürfe abzubügeln und peinliche Situationen zu meistern.

Gegenfragen stellen, den anderen in Argumentationsdruck bringen. Motto: Was genau meinen Sie damit? Bringt uns das unserem Ziel näher? Wie lautet Ihre Lösung?

Grenzen setzen - zum Beispiel mit Sätzen wie diesem: Wenn das Ihre Meinung ist, sollten Sie überprüfen, ob Sie an dem Projekt weiter beteiligt sein möchten.

Wer Humor hat, kann mit den Augen zwinkern und einem Vorwurf übertrieben zustimmen - entlarvend wirkt etwa der Konter: Nach diesem schlagenden Argument komme ich zurück auf . . .

Statt schlagfertig zu sein, einfach schweigen und jemanden ins Leere laufen lassen - am besten mit einem vielsagenden Blick. Auch eine leicht gelangweilte Mimik wirkt Wunder.

Eine Zusammenfassung bietet das Buch von Matthias Nöllke: Schlagfertigkeit - die 100 besten Tipps. Haufe Verlag.

"Sprachlos ist man meist dann, wenn man etwas als Angriff interpretiert. Dazu neigen Menschen mit wenig Selbstwertgefühl."
Elke Overdick, Psychologin

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.07.2009, Nr. 158, S. C1


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