Donnerstag, 29. Oktober 2009

Der Neid


Der Neid ist eine starke, wenn auch tabuisierte Emotion, die unsere Gesellschaft tief prägt. Er kann die Wirtschaft lähmen. Was die Soziologie des Neides den Ökonomen sagen kann.

Von Franz Kromka

Polemisch könnte man die deutsche Gesellschaft als ein "großes Neidkraftwerk" (Peter Sloterdijk) bezeichnen. Der Neid ist indessen ein ubiquitäres Phänomen. Er ist Teil jener kulturell unterschiedlich geformten Strategie, die Charles Darwin "struggle for existence" nannte. Damit ist er eine wichtige Triebfeder des wirtschaftlichen und politischen Lebens. Man will besser sein als diejenigen, denen man gleicht, und das heißt, mit denen man sich vergleicht. Der Neider nimmt schmerzend die materiellen Güter wie immateriellen Vorteile anderer wahr, und er ist dabei oft stärker daran interessiert, diese zu vernichten, als sie selbst zu erwerben.

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Die "über dem Durchschnitt" sind die Beneideten. Um nicht Missgunst zu erregen, bemühen sich diese - manche mehr, andere weniger -, das von ihnen Geschaffene zu verbergen, die Freude über ihr Werk zu unterdrücken und eher über ihre Misserfolge als über ihre Erfolge zu reden. Manche Erfolgreiche sind geplagt von Schuldgefühlen, die zur Lähmung der Schaffenskraft führen können.

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Viele Politiker glauben, mit der Umverteilung von Einkommen den latenten Neid zum Verschwinden zu bringen und damit Zufriedenheit herstellen zu können. Doch jede Egalisierungspolitik hinkt der Erfindungskraft des Neides hinterher. Alexis de Tocqueville schrieb treffend: "Der Wunsch nach Gleichheit wird umso unersättlicher, je größer die Gleichheit ist." Anders als der lediglich wirtschaftsfixierte traditionelle Sozialismus entdeckt der moderne Egalitarismus fortwährend neue Ungleichheiten. Er ist ein beständiger Produzent von Neid. Gewiss wird zum Beispiel das "Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz" die sich benachteiligt Fühlenden nicht besänftigen, sondern im Gegenteil ihre Unzufriedenheit noch verstärken.

So paradox es klingen mag: Die Politik der Umverteilung kann - ganz entgegen der vordergründigen Absicht - gerade die Chancen der Schlechtergestellten mindern. Wie Friedrich August von Hayek schrieb, liegt es auf der Hand, "dass die meisten von denen, die große Vermögen in Gestalt neuer Industrieanlagen und dergleichen aufgebaut haben, dadurch mehr Leuten Vorteile verschaffen, indem sie lohnendere Arbeitsmöglichkeiten schufen, als wenn sie ihren Überfluss an die Armen verschenkt hätten."

Doch diese Einsicht ist nicht weit verbreitet. Eine Erhebung der Bertelsmann Stiftung ergab, dass 2008 nur 13 Prozent der Befragten die derzeitige ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen als gerecht bezeichneten. So ist die neidpolitische Forderung populär, mit der bereits von Marx vorgeschlagenen "starken Progressivsteuer" auf die materielle Gleichheit der Bürger zuzusteuern. Die Fixierung auf Umverteilung und Gleichheit lähmt aber die produktiven Kräfte. Im schlimmsten Fall macht sie alle ärmer.

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Franz Kromka ist Professor für Soziologie an der Universität Hohenheim und Autor des Buchs "Markt und Moral. Neuentdeckung der Gründerväter" (Edition Lichtschlag).




Text Ausschnitte aus dem Artikel "Der Neid in der Gesellschaft"

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.10.2009, Nr. 248, S. 12

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