Mittwoch, 10. November 2010

Wo ich bin, ist Russland




Kämpferisch: Zum Tod der Übersetzerin Swetlana Geier

Übersetzer sind die großen Unsichtbaren des Literaturbetriebs. Auch in dieser Hinsicht war Swetlana Geier, die siebenundachtzigjährig am Sonntag in Freiburg gestorben ist, eine Ausnahme. Sie selbst empfand die Unsichtbarkeit als "die Rolle meines Lebens", aber damit war es spätestens vorbei, als ein Dokumentarfilm sie als "Die Frau mit den 5 Elefanten" verewigte. Wer ihn sah, konnte nur staunen über die Verwegenheit, die jemand braucht, um im siebten Lebensjahrzehnt die Neuübersetzung der fünf letzten Romane Dostojewskijs anzupacken, eben jener fünf Dickhäuter, von denen Swetlana Geier gern scherzend sprach. Noch erstaunlicher aber ist, dass sie die Arbeit - 4762 Seiten - tatsächlich zu Ende brachte und, als sei das nicht genug, ihr noch ein Elefantenkälbchen hinterherschickte: eine neue deutsche Fassung von Dostojewskijs Kurzroman "Der Spieler".  (...)

1953 erschien ihre erste literarische Übersetzung, Auftakt zu einer Serie von rund vierzig Titeln, quer durchs russische Alphabet, von Afanasjews Russischen Märchen bis zu Woinowitsch. So hielt sie das Heimweh in Schach. In ihrem Freiburger Haus errichtete sie ihr eigenes russisches Reich. "Wo ich bin, ist Russland", sagte sie. Oder: "Ein Russe sein heißt kein Russe sein." Die Übersetzerin Swetlana Geier ist tot. Die Aphoristikerin Swetlana Geier werden wir erst noch entdecken.

URS HEFTRICH
FAZ, 10 November 2010, Seite 31

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