Montag, 2. März 2009

Kapitalistische Vorreiterin in der Renaissance


Lucrezia Borgia ist für ihr Liebesleben berühmt / Doch die Papsttochter war eine kluge Investorin / Von Judith Lembke


FRANKFURT, 27. Februar. Viel ist über Lucrezia Borgia, eine der bekanntesten Frauenfiguren der italienischen Renaissance, schon geschrieben worden. Gerüchte über inzestuöse Beziehungen mit Vater und Bruder sowie der Vorwurf, sie habe ihren zweiten Ehemann vergiftet, haben die Phantasie späterer Generationen ebenso angestachelt wie ihre legendäre Schönheit und ihr Einsatz für Malerei, Musik und Poesie. Victor Hugo widmete ihr einen Roman, Donizetti eine Oper. Dass die illegitime Tochter des Borgia-Papstes Alexander VI. und spätere Herzogin von Ferrara den Ruf der mordlüsternen Hetäre zu Unrecht trug, haben Historiker schon lange nachgewiesen. Dass sie mit ihrem ausgeprägten Finanzgeschick und großen Unternehmergeist zu den Vorreiterinnen des Kapitalismus gehörte, wie ein kürzlich veröffentlichter Artikel der amerikanischen Historikerin Diane Yvonne Ghirardo belegt, war hingegen unbekannt.


Bisher hat sich die historische Forschung vor allem darauf konzentriert, wie Frauen das Familienvermögen mehrten, indem sie reich heirateten. Wenn überhaupt, wurde noch darauf geschaut, wie Frauen ihren Ehemann in ökonomischen Belangen unterstützten. Im Gegensatz zu Männern wurde Frauen unterstellt, dass sie ihre wirtschaftlichen Entscheidungen ausschließlich im Interesse der Familie fällten und nicht in ihrem eigenen Interesse. Ghirardos Untersuchung über die finanziellen Aktivitäten von Lucrezia Borgia widerlegt dieses Vorurteil. In ihrem Fall erstaunt nicht nur, was sie tat, sondern auch, in welchem Umfang sie ökonomisch aktiv war. Schon Zeitgenossen beschrieben sie als eine knallharte Geschäftsfrau, die mehr an Finanzgeschäften interessiert war, als daran Spaß zu haben.


Als Lucrezia Borgia 1501 Alfonso d'Este, den späteren Herzog von Ferrara, heiratete, musste sie, wie in der Renaissance üblich, den Großteil ihrer Mitgift ihrem Schwiegervater überlassen. Über ihren Schmuck sowie Bücher, Kleider und die Hochzeitsgeschenke durfte sie selbst bestimmen. Mit ihrem Schwiegervater wurde ein fester Betrag vereinbart, den sie monatlich erhielt, um ihren Hof zu unterhalten. Kam sie mit dem Geld nicht aus, musste sie auf ihr eigenes Vermögen zurückgreifen.


Zunächst begnügte sie sich mit ihrem Haushaltsgeld. Doch die Jahre des Krieges gegen den Papst und die Stadt Venedig brachten einen Wendepunkt in ihrem Leben. 1513 glückte ihr der erste Coup: Sie brachte einen Cousin ihres Ehemannes dazu, dass er ihr die Hälfte seines Sumpfgebietes in Diamantina übertrug. Das Gelände galt als wertlos, weil es die meiste Zeit des Jahres überflutet war und landwirtschaftlich kaum genutzt werden konnte. Lucrezia Borgia verpflichtete sich im Gegenzug dazu, das Gebiet urbar zu machen, indem sie Kanäle graben ließ und das Gelände entwässerte. Im Gegensatz zu ihrem angeheirateten Verwandten besaß sie das nötige Kapital, um das Gebiet zu entwickeln. Die Vereinbarung war für beide Parteien von Vorteil. Der Eigentümer hatte zwar nur noch die Hälfte, dafür konnte er seinen Besitz nun gewinnbringend einsetzen. Und Lucrezia Borgia kam an Weideflächen für ihr neu erworbenes Vieh, dass sie von einer unerwarteten Erbschaft gekauft hatte.


An Borgias Verhalten ist nicht nur erstaunlich, dass sie ihre Erbschaft in Rinder, Schafe und Ziegen und nicht in Schmuck investierte, wie es für eine Frau damals üblich gewesen wäre. Vor allem überrascht, dass sie die Weideflächen nicht einfach kaufte, sondern einen kapitalschonenderen Weg beschritt. Indem sie sich vermeintlich wertloses Land schenken ließ, dass sie später selbst entwickelte, konnte sie viel mehr Land erwerben, als wenn sie sich gleich Nutzfläche zugelegt hätte. Nachdem diese Taktik aufgegangen war, wiederholte sie das Prozedere mehrfach. Entweder bekam sie Land geschenkt, oder sie erwarb es in Erbpacht. Dabei achtete sie immer darauf, dass beide Parteien von den Vereinbarungen profitierten. Zudem tauschte sie immer mehr Juwelen, also totes Kapital, in gewinnbringende Güter wie Nutztiere um, deren Erzeugnisse sie verkaufte und reinvestierte. Besonders deutlich wird ihre Geschäftstüchtigkeit, wenn man ihr Verhalten mit dem ihres Ehemannes Alfonso vergleicht. Während der Herzog von Ferrara in der mittelalterlichen Tradition verhaftet blieb und sein Land mit langlaufenden Verträgen von 30 Jahren für eine geringe Gebühr an seine Vasallen verpachtete, nutzte seine Ehefrau ihr Land lieber selbst oder verpachtete es nur für eine kurze Dauer von zwei bis fünf Jahren.


Auch ihren Hofstaat trimmte sie auf Effizienz: In den wirtschaftlich schwierigen Kriegsjahren hatte sie damit begonnen, ihre Personalkosten zu senken, was sie auch fortführte, als es wieder besser lief. Zwischen 1502 und 1519 reduzierte sie die Lohnempfänger am Hof um die Hälfte. Vor dem Krieg beschäftigte man alleine sechs Musiker, 1519 nur noch einen.


Als Lucrezia Borgia im selben Jahr bei einer Geburt starb, hatte sie in nur sechs Jahren unternehmerischer Tätigkeit so ein Vermögen geschaffen, dass Zeitgenossen darüber in ihren Briefen berichteten. Die Nachwelt interessierte sich jedoch vor allem für ihr Liebesleben, so dass ihr unternehmerisches Geschick in Vergessenheit geriet.


Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.02.2009, Nr. 50, S. 19


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