Montag, 22. Juni 2009

60 Jahre Grundgesetz / Autonomie der Bildung




Igel zum Sommerbeginn - wie erfreulich!


Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Bonn veranstaltet aus Anlass des 60. Jahrestages der Verkündung des Bonner Grundgesetzes eine öffentliche Ringvorlesung. Die Fakultät konnte unter anderem Ministerpräsident Rüttgers, Bundesinnenminister Schäuble sowie den Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts Voßkuhle für Vorträge gewinnen.


Heute:

„Stabilität, Zukunftsoffenheit und Vielfaltssicherung - Die Pflege des verfassungsrechtlichen "Quellcodes" durch das Bundesverfassungsgericht“


Festsaal der Uni Bonn, Regina-Pacis-Weg 3, Bonn

Referent:Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts


Vorträge der Reihe "60 Jahre Grundgesetz" sind akustisch und visuell unter:

http://www.uni-bonn.tv/60-jahre-grundgesetz



Autonomie der Bildung


"Damit zeichnet sich der menschliche Geist durch drei Merkmale aus, die ihn vom Tier unterscheiden:


1. Der menschliche Geist ist durch Sachen (kulturelle Werte) bestimmt, nicht durch Triebe und Bedürfnisse des Organismus.

2. Er ist zur begierdefreien Liebe zur Welt fähig und übersteigt so die Triebbezogenheit auf Dinge.

3. Er ist fähig, das Was-Sein (Wesen) vom Dass-sein (Dasein) zu scheiden und anhand des Wesens Einsichten zu gewinnen, die über die individuellen Einzelfälle hinaus Geltung haben.


Scheler fasst diese Positionen als menschliches »Weltbewußtsein« zusammen und stellt sie dem tierischen »Haben der Umwelt« gegenüber. Der Mensch reicht also hinaus „über alles mögliche Milieu des Lebens.“[6] Um dies zu verwirklichen ist der Mensch aber auf die Bildung angewiesen. Damit schließt sich die Argumentation: Scheler sieht die Autonomie der Bildung gegenüber bloß funktional-biologischen Zwecken, diese Autonomie entspricht genau dem Drang des Menschen, über sich hinaus zu gehen und im niemals abgeschlossenen Prozess der „Menschwerdung“ zu wachsen. Damit verwirklicht er sein ihm eigenes Wesen, was für Scheler zugleich heißt, dass er seine göttliche Natur verwirklicht. So spricht Scheler auch davon, dass Bildung dem Menschen zur „Selbstdeifizierung“ dient.[7] Damit sind Menschwerdung und das Werden der Gottheit untrennbar verbunden. Das doppelte Werden zeigt auch Schelers Auffassung des Menschen als Prozess, nicht als Substanz, an.


Der Mensch ist für Scheler außerdem ein „Mikrokosmos“, welcher den „Makrokosmos“ (das Universum) in sich abbildet. Dies allerdings nicht in jeder Einzelheit, sondern in seiner wesenhaften Gesamtheit, also kraft seiner Fähigkeit Wesen zu erkennen. Diese steigert sich im Laufe der individuellen Biographie und kulturellen Geschichte eines Volkes. Im Verhältnisses von Mikro- zu Makrokosmos vermag „das Urseiende sich selbst zu wissen und zu erfassen, zu verstehen und sich zu erlösen“[8]. Damit bekommt aber die Menschwerdung eine kosmologische Dimension, sie ist „der Sinn der Erde, ja der Welt selbst“[9] Bildung steht also im Zusammenhang mit diesem Weltprozess, der Selbstzweck ist. Sie ist damit nicht Mittel für die Warenproduktion oder Kunstleistung, sie ist gar nicht für etwas da, das hinter ihr liege:


Bildung ist nicht »Ausbildung für etwas«, »für« Beruf, Fach, Leistung jeder Art, noch gar ist Bildung um solcher Ausbildung willen. Sondern alle Ausbildung »zu etwas« ist für die aller äußersten »Zwecke« ermangelnde Bildung da – für den wohlgeformten Menschen selbst.“[10]


Trotz allem vertrat Scheler keinen „Dandyismus“, wie er sagt, der Mensch soll kein Kunstwerk werden. Bildung ist nicht Sich-zum-Kunstwerk-machen-wollen. Sie ist viel mehr von jeglichem Wollen frei zu halten, man soll sich in ihr verlieren, um sich selbst zu gewinnen. Daher wählt man auch nicht sein Bildungs-Vorbild, sondern wird von ihm erfasst. Diese Vorbilder können durchaus unterschiedlicher Art sein – Scheler lehnte die Vorstellung von einer einzigen für alle Menschen geltenden Humanität ab.


Scheler unterscheidet nun drei Arten oberster Wissensformen:


1. das Leistungs- und Herrschaftswissen der positiven Wissenschaften zur Erlangung praktischer Ziele

2. das Bildungswissen der Philosophie zur Ausformung der Persönlichkeit

3. das Erlösungs- und Heilswissen der Religionen als liebende Teilhabe am Prozess des Seins selbst


Jede dieser Wissensformen zeichnet sich durch spezifische Motivation, Erkenntnisziele, Erkenntnisakte, vorbildhafte Persönlichkeitstypen, soziale Gruppen des Wissenserwerbs und der Wissensverbreitung und historische Bewegungsformen aus. Ihnen entsprechen die von Scheler ausgearbeiteten Wertmodalitäten 1) Vitalwerte 2) Geisteswerte 3) Heiligkeitswerte. Alle drei hält Scheler für wichtig, kritisiert aber scharf die einseitige Ausrichtung der abendländischen Kultur auf das Leistungswissen, während er für die asiatischen Kulturen einen gewaltigen Vorsprung bezüglich des Bildungs- und Erlösungswissens sieht.[11] Um diese Einseitigkeiten zu beheben, plädiert Scheler für einen Kulturaustausch. Der höchste Wert kommt für Scheler dabei dem Erlösungswissen zu, das allein zweckfrei ist, während Leistungs- und Bildungswissen diesem letztendlich dienen. Damit ist auch verständlich, warum das humanistische Bildungswissen zur Ausformung der Persönlichkeit nicht das letzte Ziel sein kann und der Mensch kein Kunstwerk werden soll."


Text Wikipedia

Keine Kommentare: