Dienstag, 2. Juni 2009

Brücken finden / Ein Paar, zwei Orte


Hoxeler Eisenbahnviadukt
(nur 42 m hoch und 160 m lang)



Ein Paar, zwei Orte


Die Arbeit läuft gut, die Liebe hat das Nachsehen. Aus beruflichen Gründen lebt heute jedes siebte Paar in einer Fernbeziehung. Und die Zahl steigt.

Von Ursula Kals

Ralf Eichenberg hat eine Arbeit, die vielen Menschen träumerischen Glanz in die Augen treibt. Der Mann ist Pilot und fliegt für das private Flugunternehmen Netjets Manager von A nach B. Manchmal ereilt seine Frau Vera Sagan dann ein Anruf aus Marrakesch, Madrid oder Moskau, wenn sie in Hamburg mit ihren beiden Söhnen den Alltag stemmt. Noch bis vor einem halben Jahr hat die Diplomingenieurin für Bekleidungstechnik rund 30 Wochenstunden gearbeitet. Ihre Kinder Emil und Konrad, vier und sechs Jahre alt, versorgte sie dann sechs Tage lang allein. So lange arbeitet ihr Mann fern von Hamburg. Hilfsbereite Großeltern, die die Familie entlasten könnten, "sind übers Land verteilt". Inzwischen kümmert sich die 35-Jährige ganztags um ihre Familie. Sie hätte in ihrem Beruf noch stärker präsent sein müssen, Dienstreisen eingeschlossen, "da war klar, dass ich das nicht guten Gewissens machen konnte".

Die Freude ist groß, wenn ihr Mann dann seine vier, fünf freien Tage hat und wieder daheim in Hamburg ist. Mit optimistischem Realismus hat sich Vera Sagan auf den Rhythmus von Willkommen und nahem Abschied eingestellt. Ihr Mann mag seinen spannenden Beruf, er verdient mehr als sie, und es gab auch schon andere Zeiten. Zum Beispiel das Jahr, in dem er wechselweise von Rostock und Dortmund losflog und sich die Dienstpläne ständig änderten. "Das war sehr stressig, man konnte Einladungen nicht verbindlich zusagen und glaubte erst, dass er wirklich da war, wenn er in der Tür stand." Ein weiteres Jahr flog er für Finnair, war 14 bis 16 Tage unterwegs und dann vier Tage in Hamburg. Die Frühschichten und Nachtflüge schlauchten. Seit zwei Jahren hat sich der Alltag etwas entspannt. Beim jetzigen Arbeitgeber sind die Dienstpläne verlässlich, "und es gibt sie sechs Wochen im Voraus", freut sich Vera Sagan. Fliegt der Mann mit Geschäftsleuten über den Wolken, regelt seine Frau das Leben in Hamburg, packt Schwimmrucksack und Spielplatztasche, liest Gutenachtgeschichten, geht zum Elternabend und hat den Alltag durchorganisiert. Dann trifft ihr Mann ein. "Wir brauchen alle einen Tag, um warm zu werden, und müssen uns dann wieder aneinander gewöhnen."

Peter Wendl, Theologe und Therapeut, bestätigt diese Erfahrung. Schließlich treffen zwei Menschen "aus gänzlich verschiedenen Alltagen" am Wochenende aufeinander. "Es ist nie einfach nur ein Wiedersehen - es ist immer auch ein Neuanfang. Diese Paare müssen zwei unterschiedliche Lebenswelten vereinbaren: die getrennten Phasen während der Woche sowie die gemeinsamen Wochenende-Zeiten. Das kann ein zermürbender Rhythmus sein." Wendl hat über Fernbeziehungen promoviert. Titel seiner Dissertation: "Fernbeziehungen - zwischen Krise und erfüllender Partnerschaft". Er arbeitet am Zentralinstitut für Ehe und Familie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und hat Gespräche mit mehr als 600 Pendlerpaaren geführt, unter anderem berät er in seinen Seminaren Soldaten, deren mehrmonatige Auslandseinsätze die Vereinbarkeit von Ehe und Familie auf eine harte Probe stellen können.

Vera Sagan und ihr Mann haben sich auf ihr ungewöhnliches Leben eingestellt. Sie sind sich über Grundsätze in der Erziehung einig und darüber, dass nicht länger aufgeblieben wird, wenn Papa da ist. Was viel entscheidender für ein glückliches Miteinander ist: Sie haben "den Hektikdauerlauf" eingestellt, mit dem sie früher die kostbaren gemeinsamen Tage bestritten haben: Getränke holen, Vorsorgetermin beim Kinderarzt, Treffen mit Freunden, alles wurde in die drei Tage gepackt.

Das ist ein klassischer Fallstrick vieler Distanzlieben. Nach dem vermeintlichen Single-Dasein soll das Leben und die Liebe intensiv nachgeholt werden. Selbstkritisch sagt die Ingenieurin. "Ich habe da manchmal aus dem Blick verloren, dass mein Mann gearbeitet hat und ebenso Erholung braucht." Heute haben sie das Tempo gedrosselt, auch mit Blick darauf, dass ihr Mann mit seinen 46 Jahren bis zur Pensionierung noch einige Jahre fliegen wird und das Lebensmodell weiter harmonisch funktionieren soll. Seitdem breitet sich Zufriedenheit aus. "Hauptsache, die Familie funktioniert gut", sagt Sagan. Und Zeit für mehr Zweisamkeit eroberten sie zurück, "das fällt uns leichter, je älter die Kinder werden".

Weniger an Unternehmungen sei oft mehr an Lebensqualität, gerade für Fernliebende, bestätigt der Paarforscher und rät den Partnern zu "Zeitinseln" für Nichtstun und Spontaneität. "Überfrachten Sie die gemeinsame Zeit nicht mit zu vielen Erwartungen und Plänen. Es muss nicht immer ein Feuerwerk an Aktivitäten in den gemeinsamen Phasen ablaufen. Auf Vorrat Liebe, Kommunikation, Sexualität ansammeln, das können und brauchen wir nicht", erklärt Peter Wendl. Er nennt diesen Drang, eine perfekte, konfliktfreie Zeit zu zweit zu inszenieren, den "Weihnachtseffekt". Wendl weiß, wozu er anderen rät, acht Jahre sind er und seine Frau zwischen Städten und Ländern gependelt, bevor sie gemeinsam eine Wohnung in München bezogen haben.

Der 39-Jährige reiht sich ein in die mehr als 25 Prozent Akademiker, die über Jahre hinweg eine Fernbeziehung führen. Damit diese gelingt, seien zwei Dinge entscheidend. Erstens, mittelfristig gemeinsame Perspektiven vom Zusammenziehen zu entwickeln. Und zweitens, einen erfüllenden Alltag auch alleine zu gestalten, um auch diese Solozeit als schön erleben zu können. Unerlässlich ist eine gute Kommunikation, dazu gehört auch, betont Wendl, "den Partner an Banalem teilhaben zu lassen". Mails und Bildtelefon erleichtern vieles. Dennoch oder gerade deshalb empfiehlt Wendl den guten, alten Brief, "das ist ein Therapeutikum". Sich gut zu verständigen scheint in einer Fernbeziehung noch wichtiger zu sein als in jeder anderen Bindung. "Die Fernbeziehung ist ein Trainingslager für die Liebe", sagt Paarexperte Wendl. Freitag kommt nicht derjenige nach Hause, der Montag gegangen ist. "Heimliche Wünsche werden unheimlich selten erfüllt. Sagt euch rechtzeitig, was ihr in der gemeinsamen Zeit wirklich wollt. Soll es das Picknick mit Freunden sein, das Tanztheater, oder möchte ich einfach nur neben dir liegen, dich atmen hören?"

Die Vorteile der Distanzliebe? Vera Sagan lacht: "Die suchen wir noch immer." Vor allem, seit die Kinder auf der Welt sind. "Uns fällt die Lebensform relativ leicht, eben weil wir ohne Kinder leben", sagt dagegen Sylvia Knecht. Sie ist Geschäftsführerin von Cologne Bonn Business und für das Standortmarketing zuständig. Ihr Mann Klaus Köhler ist Projektmanager, spezialisiert auf Konsolidierungsprozesse. Er berät in ganz Deutschland unter anderem Unternehmen aus der Auto- und Medienbranche. Beide finden Erfüllung in ihren Berufen und erleben Abendtermine und Überstunden nicht als Belastung. Der Wirtschaftsprüfer hat oft 15-Stunden-Tage und während seiner drei- bis sechsmonatigen Einsätze ein Apartment vor Ort. Mit dem Leben aus dem Koffer haben sich beide gut arrangiert, auch vorher sind sie viel beruflich gependelt und geübt im Dienstreisenleben. "Ab einer gewissen Ausbildungsqualifikation gehört das bei vielen dazu. Schauen Sie sich an, wen man Montag oder Freitag auf Flughäfen und Bahnhöfen trifft", sagt Sylvia Knecht.

Fast wirkt es, als repräsentierten die 45-Jährigen das perfekt organisierte Pendlerpaar. Jeder pflegt Freundschaften. Die neue Lieblings-CD wird auf den iPod gebannt. Wochenenden werden nicht mit Friseurtermin und Abstechern in die Reinigung verstopft, all das erledigen die Teilzeit-Singles möglichst während der Woche. "Wir versuchen, die Wochenenden arbeitsfrei zu halten. Das gelingt natürlich nicht immer", sagt Sylvia Knecht. Wenn sie dann einkaufen, kochen oder im Garten werkeln, tun sie das möglichst gemeinsam. Und sie versuchen konsequent, sich einen Abend in der Woche zu sehen, mal sitzt sie, mal sitzt er im Zug. Ihr Hauptwohnsitz ist im Raum Köln, "ein großer Vorteil, die Bahnverbindungen sind gut". Hier scheint das Fernliebe-Klischee zuzutreffen, dass die Sehnsucht aufeinander wach bleibt, die Unruhe, dass in beiden Leben viel geschieht, anregend wirkt. "Man genießt einen Kinoabend bewusster, freut sich aufeinander und gibt sich Mühe. Auch optisch", sagt die Managerin, "ich käme nicht auf die Idee, ihm im Jogginganzug entgegenzutreten."

Lesetipp: Peter Wendl: Gelingende Fern-Beziehung. Entfernt zusammen wachsen. Herder-Verlag. 9,90 Euro.

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.05.2009, Nr. 124, S. C1

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