Donnerstag, 18. Juni 2009

Krisenerfahrungen



Von Hans D. Barbier


Seit einem Dreivierteljahr ist die jüngste Wirtschaftskrise nun auf allen Kontinenten im Bewusstsein von vielen Hunderten Millionen Menschen. Es wird Aufgabe der Fachleute sein, die Krise aufzuarbeiten, sie in die Reihe der großen Depressionen einzuordnen und zu versuchen, Lehren aus ihren Besonderheiten zu ziehen. Und es gibt ein paar Erfahrungen, die sich heute schon im Dienste des Lernens als überliefernswert anbieten.


Erstens: Im Buch der Wirtschaftsgeschichte als Schockereignis zu vermelden ist schon die Tatsache, dass es diese Krise überhaupt gab. Man sollte die Künftigen wissen lassen, dass es zu Beginn des dritten Jahrtausends im Erkenntnis- und Arbeitsprogramm der Ökonomen und der Politiker durchaus nicht üblich war, mit einer Krise der Weltwirtschaft in dieser gefühlten Plötzlichkeit des Ausbrechens zu rechnen. Man sollte warnend darauf hinweisen, dass Massenarmut durch einen Sturz in den Strudel einer Weltrezession vermeintlich zu einem überwundenen Phänomen geworden war. Die Nachkommenden sollten wissen, dass es einen Zeitpunkt gab, in dem die Vorfahren als Neuigkeit lernen mussten, dass ganze Kontinente durch politische Steuerungsfehler in Armut fallen können.


Zweitens: Überliefernswert ist, dass diese Krise nicht als Folge einer plötzlich hereinbrechenden Knappheit an realen Ressourcen oder einer Seuche kam; sondern dass sie kam als Folge einer politisch ausgelösten, vorher aber schon als Aufsichtsversagen angelegten Krise des Kapitalmarktes. Es ist zu überliefern, dass es zu nichts führt, rituell über die Gier von Managern zu klagen, sondern dass es für die Systemsteuerung angemessen ist, sich um Formen und Mechaniken der Kapitalmarktaufsicht zu kümmern, die den einzelnen Finanzinstituten und damit auch dem System behilflich sind, die Balance von Gewinnchance und Verlustrisiko zu wahren.


Drittens: Zu lernen und zu überliefern ist, welche Rolle gerade auch die politischen und die administrativen Institutionen für die Stabilität eines überwiegend privatwirtschaftlich und wettbewerblich organisierten Finanzsystems spielen: die durch keine politische Wachstums- oder Wohlfahrtsstrategie zu ersetzende Aufgabe der Notenbank, zum Wohle der Bürger für stabiles Geld durch knappes Geld zu sorgen; die Bedeutung einer mit dem Markt lernenden Aufsicht, die früh genug erkennt, dass zum Beispiel auch risikenmischende und risikotransferierende - also „gute“ - Verbriefungen zum tückischen Versteck für schwer entdeckbare Risiken werden können.


Viertens: Dem historischen Gedächtnis als Warnung zu übermitteln ist, wie schamlos die Bereitschaft der Politik sein kann, das Erschrecken der Öffentlichkeit über den Ausbruch einer wirtschaftlichen Krise im Wahlkampf auszubeuten. Diese Erfahrung ist nicht neu. Aber sie muss immer wieder neu überliefert werden, damit den gröbsten wirtschaftlichen Täuschungsmanövern politischer Widerstand entgegengesetzt wird und damit im historischen Gedächtnis die systemschädigenden Folgen schlechter Krisenpolitik nicht mit angeblich eingebauten Schwächen im System der Marktwirtschaft verwechselt werden.

Fünftens: Ins kollektive Gedächtnis zu geben ist aber auch die Erfahrung, dass ein unbeugsames Eintreten für den Schutz des Eigentumsrechtes und des Wettbewerbs die Voraussetzung für das Gelingen einer Bändigung der Krise ist. Das nämlich lehrt die Geschichte: Jede Krise ist anders; aber keine stützt die These, eine auf dem Privateigentum gründende, wettbewerblich und kapitalistisch organisierte Marktwirtschaft habe je eine leistungsfähigere Konkurrenz gefunden. Aus Krisen lernen heißt, ins Politische gewendet, Remeduren zurückzuweisen, deren Erfinder die Gunst einer Stunde der Verwirrung nutzen wollen, um den Staat gegen die Marktwirtschaft in Stellung zu bringen.


Der Autor ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung.

Text: F.A.Z. Dienstag, 16. Juni 2009, Seite 11


1 Kommentar:

Doleys hat gesagt…

Das ist eine kluge Zusammenfassung! In Obamas Gemischtwarensortiment fehlt das Wichtigste: die Verpflichtung der Zentralbank Fed auf ein strategisches Ziel, nämlich die Geldwertstabilität. Konjunkturpolitik ist einzig Sache der Regierung.