Mittwoch, 17. Juni 2009

Probezeit: Sechs heiße Monate



Die Probezeit wird in der Krise zur Zitterpartie: Wenn Betriebe leiden, können sie Probezeitler unbürokratisch einsparen - trotz guter Leistungen.

Von Nadine Bös

Sie hat es schon wieder gesagt: "Mein Chef." Und sie muss sich schon wieder korrigieren: "Mein ehemaliger Chef." Sie zieht die Stirn kraus und schüttelt den Kopf. "Ich hatte einfach zu wenig Zeit, um mich daran zu gewöhnen", sagt die junge Frau. "Andere bekommen wenigstens vier Wochen Schonfrist, wenn sie entlassen werden. Die fehlen mir." Noch vor kurzem hatte "ihr Chef" ein sehr positives Feedback-Gespräch mit ihr geführt. Sie habe sich toll eingefunden in die Firma, ihre Arbeit sei ganz hervorragend. Ob sie die Probezeit erfolgreich bestehen werde? Natürlich, da solle sie sich keine Sorgen machen.

Jetzt ist alles anders. Die Marketingspezialistin, die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, kommt gerade vom Arbeitsamt. Die Business-Klamotten hat sie längst gegen Pulli und Sneakers eingetauscht. Der Ärger ist geblieben. "Der lässt sich nicht mal eben abstreifen und vergessen." Zwei Wochen nach dem Feedback-Gespräch war ihre Probezeit auf einmal abrupt zu Ende. Dem Betrieb, einem großen hessischen Dienstleistungsunternehmen, waren wegen der Wirtschaftskrise Aufträge ausgeblieben. "Aufgrund meines Probezeitstatus gehörte ich zu den Ersten, die eingespart wurden." Das hat der Vorgesetzte ihr ohne Umschweife gesagt. Um Leistung gehe es nicht. Das Arbeitszeugnis fiel exzellent aus.

Wie viele solche Fälle die Wirtschaftskrise hervorgebracht hat, wird bei der Bundesagentur für Arbeit nicht erfasst. Daniela König, Geschäftsführerin der Managementberatung Mühlenhoff und Partner, glaubt aber, dass die Zahl der Probezeitentlassungen in einer wirtschaftlichen Schwächephase nach oben geht: "Eine Reihe von Unternehmen ist von dieser Krise und von ihrer Heftigkeit geradezu überrollt worden", sagt sie. "So mancher hat sich da selbst überholt und noch am Ende der Boomphase in großem Stil Leute eingestellt." Etliche seien noch in der Probezeit. Selbst außerhalb konjunktureller Tiefs sei die Probezeitkündigung als Möglichkeit des "schnellen Stellenabbaus" nicht unbekannt. "Beispielsweise wenn überraschend Unternehmen aufgekauft oder zusammengelegt werden und in großem Stil Synergien entstehen, aber die Personalplanung noch ohne diese Synergien gemacht ist." Insgesamt seien Probezeitler "schlicht das schwächste Glied in der Kette".

Dass sie nicht allein sind mit ihrem Schicksal, besänftigt die Betroffenen wenig. "In der Probezeit rauszufliegen - das passiert doch normalerweise, wenn man Mist baut, schlechte Arbeit abliefert, faul ist", sagt die entlassene Kommunikationsexpertin. "Deshalb habe ich extreme Selbstzweifel bekommen. Ich habe mich ständig gefragt, was ich falsch gemacht habe und wo ich die Erwartungen nicht erfüllt habe."

"Eine Entlassung ist immer ein Schock", sagt Bettina von Schorlemer. Die Diplompädagogin und Psychotherapeutin leitet eine private Therapie- und Coachingpraxis, das "Frankfurter Beratungsinstitut". Das Problem mit den Probezeitkündigungen sei: "Die Wirtschaftskrise können wir mit dem Verstand begreifen. Dass an den naheliegenden Stellen Personal abgebaut wird, erscheint uns logisch. Die eigene Entlassung bleibt trotzdem etwas Hochemotionales." In der Probezeit komme hinzu, dass dem Rausschmiss noch stärker der fahle Beigeschmack des Scheiterns anhafte. "Emotionen lassen sich nicht einfach an- und ausknipsen", sagt von Schorlemer. "Das wird für viele zum ernsthaften Problem." In den ersten vier Monaten des Jahres 2009 haben Bettina von Schorlemer und ihr Kollege 20 Prozent mehr Therapien und Coachings geleitet, die wegen Kündigungen in der Probezeit stattfanden als im Vorjahr. Besonders groß seien die Sorgen nach wie vor in der Finanzbranche.

Ein Beispiel für ein Unternehmen, das wegen seiner Probezeitkündigungen in die Schlagzeilen geraten ist, ist die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC). Wie zu hören ist, sind dort im März 2009 verstärkt Fälle aufgetreten: Ende März teilte PwC mit, die Quote der Übernahmen nach der Probezeit betrage "derzeit 60 Prozent". Demnach dürfte die Quote der Probezeitentlassungen zu diesem Zeitpunkt bei 40 Prozent gelegen haben.

Über das gesamte Geschäftsjahr betrachtet, relativiere sich diese Zahl allerdings, teilte das Unternehmen auf Anfrage mit: Im aktuellen Geschäftsjahr (1. 7. 2008 bis 30. 6. 2009) werde die Quote der Mitarbeiter, die nach ihrer Probezeit nicht in ein festes Anstellungsverhältnis übernommen wurden, im Schnitt 13,5 Prozent betragen. In der Mitarbeitergruppe der jungen Hochschulabsolventen, die das Gros der Neueinstellungen ausmachte, liege diese Quote bei 16,8 Prozent.

Das ist mehr, aber nicht unbedingt exzessiv mehr, als die Konkurrenz vermeldet: Im Hause KPMG ist von "rund 10 Prozent" die Rede, Deloitte spricht von Entlassungen in der Probezeit "in einer Größenordnung kleiner 10 Prozent" und Ernst & Young teilte mit, die Quote dort bewege sich im "niedrigen einstelligen Prozentbereich". Anders als die anderen großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gibt PwC jedoch offiziell zu: "In Bereichen, die konjunkturell bedingt eine dauerhaft niedrige Auslastung verzeichnen, kann es vorkommen, dass trotz guter Leistungen in der Probezeit eine Übernahme nicht möglich ist."

Ob Marketingexperte oder Wirtschaftsprüfer, ob junger Absolvent oder Wechsler mit Berufserfahrung: "Für den Einzelnen ist so eine Kündigung, bevor man richtig angefangen hat, natürlich ein enormer Einschnitt", erklärt Managementberaterin König. "Man denkt, man hat's geschafft, den Traumjob angetreten und dann ist der schöne Traum jäh wieder zu Ende."

"Noch ein paar Tage vor meiner Entlassung ist mir von verschiedenen Seiten versichert worden, dass ich mir keine Sorgen über eine Weiterbeschäftigung nach der Probezeit machen müsse", berichtet ein Betriebswirt, der anonym bleiben möchte. Im internen Bewertungssystem seines Unternehmens habe er durchweg gute Leistungen erzielt. In einem Feedback-Gespräch sei gar die Formulierung gefallen, er gehöre zu den "Top-Leuten" seines Jahrgangs. "Als ich zum Chef zitiert wurde, ließ man mich in dem Glauben, es handle sich nur noch um das formale Absegnen der Vertragsverlängerung." Dann kam der Schock: "Vor der Tür meines Vorgesetzten warteten schon fünf oder sechs Kollegen, die auch alle noch in der Probezeit waren - alle entlassen. Mein Gespräch mit dem Chef dauerte nur drei Minuten. Es hieß, die wirtschaftliche Lage zwinge die Firma dazu, mir zu kündigen. An den Leistungen liege es nicht. Ich war zu baff, um etwas Nennenswertes zu erwidern."

"Sich in einer solchen Situation wirksam zu wehren ist schwierig", sagt der Fachanwalt für Arbeitsrecht Ferdinand Brüggehagen. Das Problem: Beschäftigte, die weniger als sechs Monate in einem Betrieb arbeiten, haben noch keinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. In der Probezeit können sie ohne Angabe von Gründen entlassen werden. Einige "seidene Fäden", um eine Klage aufzuhängen, gebe es dennoch. "Wenn ein Unternehmen 50 Leute von der Konkurrenz abwirbt, aber schon in dem Moment weiß, dass es maximal in der Lage ist, sie vier Monate zu beschäftigen, würde ich eine Klage wegen Rechtsmissbräuchlichkeit versuchen", sagt Brüggehagen. "Wenn nur Frauen in der Probezeit rausfliegen und alle Männer bleiben dürfen, würde ich mich auf Sittenwidrigkeit berufen." In der Regel aber seien Klagen gegen Probezeitkündigungen schwer zu begründen. "Da reden wir von Raritäten", sagt Brüggehagen. Dem gekündigten Betriebswirt fällt dazu nur eines ein: "Ich habe keine Rechtsschutzversicherung."

Wie also reagieren? "Das Selbstbewusstsein nicht verlieren", rät Managementberaterin König. Man dürfe nicht vergessen: "Bei diesen Leuten handelt es sich um einen sehr marktfähigen Personenkreis." Der gekündigte Betriebswirt kann das bestätigen. Er ist inzwischen schon wieder in Lohn und Brot. "Bei Bewerbungsgesprächen habe ich offen angesprochen, was mir passiert ist. Egal, wo ich hinkam - alle in der Branche waren informiert und zeigten Verständnis für meine Lage." Schon zwei Wochen nach seiner Entlassung hatte er zwei Angebote auf dem Tisch, zwischen denen er wählen konnte.

Die Kommunikationsexpertin hat noch keine neue Stelle. Sie ist erst mal in den Urlaub gefahren - "ganz weit weg, um den Kopf klarzukriegen". Jetzt hat sie das Bewerben zum Vollzeitjob gemacht. Fast täglich schickt sie eine neue Mappe raus, sichtet Stellenangebote oder trägt sich in Datenbanken ein. "Ich bin sehr aktiv", sagt sie. "Aber ob ich in der momentanen Wirtschaftslage bald einen ähnlich guten Job finde, steht in den Sternen."

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.06.2009, Nr. 134, S. C1


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