Mittwoch, 2. September 2009

Noch zum Krieg - Hitler-Stalin-Pakt

Freundliche Verpackung

Putins Bemerkungen zum Hitler-Stalin-Pakt enthalten substantiell wenig Neues /
Von Reinhard Veser

So richtig schön sei er nicht gewesen, der Hitler-Stalin-Pakt, meint Putin. Aber so richtig falsch kann er ihn auch nicht finden.

Der Ton war neu, doch die Melodie war die alte. Kurz vor den Gedenkfeiern zum 70. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen hat der russische Ministerpräsident Wladimir Putin den Hitler-Stalin-Pakt in einem "Brief an die Polen" als "unmoralisch" bezeichnet. Damit ging er scheinbar auf Polen zu und entschärfte einen historischen Streit, der in den vergangenen Wochen zu einer ernsten Belastung des russisch-polnischen Verhältnisses geworden ist. Zudem würdigte Putin in dem Text, der am Montag in der "Gazeta Wyborcza" veröffentlicht wurde, dass die Polen sich als Erste in Europa der nationalsozialistischen Aggression entgegengestellt haben - nachdem zuvor in den vom Kreml kontrollierten russischen Medien wochenlang mit wachsender Vehemenz die Behauptung verbreitet worden war, Polen habe ein Bündnis mit Hitler für einen Angriff auf die Sowjetunion angestrebt.

Und schließlich erwähnte Putin die Ermordung von mehr als 20 000 polnischen Offizieren und Intellektuellen durch den sowjetischen Geheimdienst im Frühjahr 1940, die ein Reizthema der russisch-polnischen Beziehungen ist: "Das russische Volk, dessen Schicksal von einem totalitären Regime verunstaltet worden ist, versteht die Empfindungen der Polen zu Katyn, wo Tausende polnische Soldaten ruhen. Wir müssen gemeinsam die Erinnerung an die Opfer dieses Verbrechens wachhalten." Diese Formulierung ist bemerkenswert vor dem Hintergrund, dass die russische Militärjustiz in den vergangenen Jahren alle Bestrebungen zu einer juristischen Verfolgung der Morde mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt hatte - bis hin zu der Behauptung, die Massenerschießungen hätten der damaligen Rechtslage entsprochen.

In Polen, vor allem in der polnischen Regierung, wurden diese Worte Putins mit Erleichterung aufgenommen, weil damit die zuvor real scheinende Gefahr eines Eklats während der Danziger Gedenkfeiern gebannt war. Von der "Wortwahl eines Staatsmannes" war die Rede, und davon, dass man auf der Grundlage dieses Artikels über strittige Fragen diskutieren könne. Doch ob Putins Artikel über den Tag hinaus zu einer Entspannung beitragen kann, ist indes fraglich, denn in den meisten Punkten gibt er nur die bekannten Moskauer Positionen in einer freundlicheren Verpackung als sonst wieder.

Den Hitler-Stalin-Pakt stellt Putin als logische Folge des Münchner Abkommens vom September 1938 dar, durch das Frankreich und Großbritannien die Hoffnung auf einen gemeinsamen Kampf gegen den Nationalsozialismus zunichte gemacht hätten. Er stellt die Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs so dar, als hätten die westlichen Demokratien und Polen aus unverständlichen Gründen eine Zusammenarbeit mit der Sowjetunion gegen Hitler abgelehnt und diese damit geradezu zu einem Bündnis mit Hitler gezwungen - auch wenn dieses unmoralisch gewesen sei. Dass nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Sowjetunion ein verbrecherisches Regime herrschte, dem die Nachbarn aus guten Gründen misstrauten, erwähnt Putin mit keinem Wort. Warum sollten London, Paris und Warschau im Sommer 1939 Stalins als Bedingung für ein Bündnis gegen Hitler vorgebrachte Forderung erfüllen, jederzeit sowjetische Truppen nach Polen bringen zu dürfen? Über diese Forderung findet sich in Putins Brief nichts. Auch der sowjetische Einmarsch im Osten Polens 17 Tage nach dem deutschen Überfall, mit dem Stalin den kämpfenden Polen in den Rücken fiel, kommt in Putins Darstellung der Geschichte nicht vor - dabei entfesselte die Sowjetmacht dort zwischen 1939 und Hitlers Angriff auf die Sowjetunion 1941 einen Terror gegen die Zivilbevölkerung, der dem der Nationalsozialisten kaum nachstand.

Die Anti-Hitler-Koalition nach 1941 stellt Putin als Beispiel dafür dar, dass Staaten sich über alle Unterschiede hinweg zum Kampf gegen das "globale Böse" einigen könnten. Adam Michnik, in den siebziger und achtziger Jahren einer der Köpfe der polnischen Opposition, hält dem in der "Gazeta Wyborcza" in einer Antwort auf Putin entgegen: "Für uns - wie für viele russische Demokraten - war Stalin ein Verbrecher und Aggressor; dieser Schöpfer des Gulag-Staates war Hitler ganz und gar vergleichbar." Auf Putins an die Polen gerichteten Satz, man habe im Krieg gegen Hitler gemeinsam gesiegt, antwortet Michnik: "Nein, Herr Ministerpräsident, nicht alle waren zusammen. Alexander Solschenizyn und Leopold Okulicki - um nur an diese beiden symbolischen Namen zu erinnern - saßen am Tag des Sieges in stalinistischen Gefängnissen und warteten auf ihren Prozess." Okulicki war der letzte Kommandeur der polnischen Untergrundarmee "Armia Krajowa" (AK); er wurde 1945 von den Sowjets verhaftet und vermutlich 1946 in Moskau hingerichtet - so wie 15 weitere Führer des polnischen militärischen Widerstands.

Putin stellt als Vorbild für eine Annäherung Polens und Russlands die deutsch-französische und deutsch-russische Aussöhnung vor. Darauf, dass die Voraussetzung für beides das Bekenntnis Deutschlands zu seiner Schuld im Zweiten Weltkrieg war, geht er nicht ein. Stattdessen suggeriert er mit Hinweisen auf dunkle Flecken in der polnischen Geschichte des 20. Jahrhunderts eine Symmetrie der Vergehen, die angesichts der Dimensionen der stalinistischen Verbrechen obszön anmutet. Vor diesem Hintergrund fordert Putin die Polen auf, die gegenseitigen geschichtlichen Vorwürfe zu vergessen.

Auf die Bestrebungen in Polen, dem Baltikum und der Ukraine, die stalinistische Schreckensherrschaft in das europäische Bewusstsein zu rücken, auf die das russische Außenministerium regelmäßig mit harschen Erklärungen reagiert, geht Putin nur indirekt ein, aber sie kommen vor - als Klage über Versuche, die Geschichte nach politischen Konjunkturen umzuschreiben.

"Wenn wir eine friedliche und glückliche Zukunft haben wollen, müssen wir Schlüsse aus der Geschichte ziehen", schreibt Putin. Halbwahrheiten seien immer heimtückisch - sie führten "unausweichlich zu neuen historisch-politischen Phobien, die Staaten und Völker gegeneinander aufhetzen". Das ist gegen jene Osteuropäer gerichtet, die eine Aufarbeitung des Stalinismus fordern. Aber es trifft genau die russische Geschichtspolitik, für die Putin verantwortlich ist.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.09.2009, Nr. 203, S. 10

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