Mittwoch, 23. Juli 2008

Menschen und Wirtschaft - Arthur Levinson

Der unbekannte Superstar
Genentech-Vorstandsvorsitzender Arthur Levinson kommt das Übernahmeangebot von Roche nicht gelegen

Arthur Levinson ist ein gefragter Mann. Der Vorstandsvorsitzende des amerikanischen Biotechnologieunternehmens Genentech hat einen Sitz im Verwaltungsrat von zwei der erfolgreichsten Technologieadressen: Der Computer- und Elektronikkonzern Apple und das Internetunternehmen Google haben Levinson in den Reihen ihres Aufsichtsgremiums. Genentech hat einiges gemeinsam mit Apple und Google. Das Unternehmen sitzt in San Francisco, nahe dem Silicon Valley, wo Apple und Google zu Hause sind. Und alle drei Unternehmen sind Lieblinge an der Börse, und sie gelten als Innovationsführer in ihren Branchen.

Es gibt aber einen großen Unterschied: Levinson ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Er hält sich mit Auftritten zurück.

Damit ist Levinson das Gegenteil des Apple-Vorstandsvorsitzenden Steve Jobs, der legendär ist für seine pompös inszenierten Produktpräsentationen. Auch das Google-Triumvirat mit dem Vorstandsvorsitzenden Eric Schmidt und den beiden Gründern Sergey Brin und Larry Page ist viel präsenter.

Aber obwohl Levinson das Rampenlicht nicht sucht, kann er sich über öffentliche Anerkennung nicht beklagen. Wenn Wirtschaftspublikationen Listen wie "Die besten Manager" oder "Die besten Vorstandsvorsitzenden" herausbringen, taucht sein Name regelmäßig ganz vorne auf. Und Genentech wird immer wieder zu einem der besten Arbeitgeber in Amerika gekürt.

Der 58 Jahre alte Levinson gilt als der Vater des Erfolgs bei Genentech. Er hat Genentech zu einem Unternehmen gemacht, in dem Forschung alles dominiert. Er steckt mehr als 20 Prozent des Umsatzes in die Forschung und Entwicklung. Seine Strategie ist es, neue und bahnbrechende Therapieansätze zu finden und nicht nur Weiterentwicklungen bestehender Behandlungsmethoden. Das beste Beispiel dafür ist das vor gut vier Jahren auf den Markt gekommene Avastin, das mittlerweile zum Vorzeigemedikament von Genentech geworden ist: Avastin war der Durchbruch für eine ganz neue Klasse von Medikamenten, die Tumore gewissermaßen aushungert. Auch das im Jahr 1998 eingeführte Brustkrebsmittel Herceptin war ein Meilenstein. Es ist auf das Erbgut einer bestimmten Gruppe von Menschen zugeschnitten und war Vorreiter für personalisierte Medikamente.

Die Forschungsgetriebenheit erklärt sich damit, dass Levinson mit Leib und Seele Wissenschaftler ist. Schon als Kind in Seattle verschlang er wissenschaftliche Bücher und interessierte sich für Gebiete wie Physik oder Astronomie. Später beschäftigte er sich in seinem Studium der Biochemie mit Krebsforschung. Im Jahr 1977 bekam Levinson seinen Doktortitel in Biochemie an der Eliteuniversität Princeton in New Jersey.

Im Jahr 1980 stieg er bei Genentech als Wissenschaftler ein. Das Unternehmen war gerade vier Jahre alt. Levinson wurde von Herbert Boyer geholt, einem Wissenschaftler, der Genentech im Jahr 1976 mit dem Investor Robert Swanson gegründet hatte. 1990 rückte Levinson an die Spitze der Forschungsabteilung - es war das gleiche Jahr, in dem der Schweizer Pharmakonzern Roche seinen Mehrheitsanteil von Genentech erwarb. Zum Vorstandsvorsitzenden von Genentech wurde Levinson im Jahr 1995. Vier Jahre später übernahm er auch das Amt des Verwaltungsratsvorsitzenden.

Levinson ist bekannt für seinen hemdsärmeligen Führungsstil. Obwohl Genentech mit einem Jahresumsatz von 11,7 Milliarden Dollar mittlerweile zu einem Branchengiganten geworden ist, wird in der Zentrale in San Francisco wenig Wert auf Formalitäten gelegt. Levinson will selbstbestimmte Freigeister haben, die sich dem Ziel verschrieben haben, den nächsten Durchbruch in der Krebsforschung zu schaffen. Für die Genentech-Kultur war es daher auch immer wichtig, von der Schweizer Muttergesellschaft an der langen Leine geführt zu werden. Es scheint daher zweifelhaft, dass Levinson sich über das Angebot von Roche freut, die vollständige Kontrolle über Genentech zu übernehmen. Am Montag hielt er sich zunächst einmal bedeckt. Die Finanzmärkte erwarten, dass sich Levinson mit dem Angebot nicht zufriedengibt. Man darf annehmen, dass sich der leidenschaftliche Forscher Levinson lieber mit anderen Dingen beschäftigen würde als mit Strategien für ein Übernahmerennen. ROLAND LINDNER

Text: F.A.Z., 22.07.2008, Nr. 169 / Seite 15

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